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GAAAP_ The Blog

Wenn sexuelle Belästiger sich entschuldigen: Monologe, Solipsismus, Terror

27.4.2018

In den USA ist die breite Debatte zum Thema Sexuelle Belästigung auch eine Ersatzhandlung. Da Donald Trump (und mit ihm das right-wing regime) nicht einfach aus Anstand abgesetzt werden kann, müssen andere Grabscher und Nötiger aufgegriffen und symbolisch in Zugzwang gebracht werden, ihre tradierten Macht- und Missbrauchspositionen (zumindest scheinbar) aufzugeben. Am Celebrity-Diskurs abgelesen, hat das mindestens zwei Folgen:
Erstens treten innerhalb des Genres der Survivor-Stories eine Reihe von zumeist heterosexuellen, weißen und begehrenswerten Weiblichkeiten hervor, die anklagend, moderierend-differenzierend oder auch apologetisch (Catherine Deneuve) argumentieren. Darin zeigt sich ein zweischneidiger Aspekt der #MeToo-Debatte, die auch an der Verfestigung weißer, heteronormativer Arrangements arbeitet. Dass viele Aspekte der Harassment-Debatte innerhalb des Old Sexual Regime verbleiben, hat Paul B. Preciado produktiv kritisiert. Das (nicht nur) aus #MeToo zu entwickelnde politische Projekt bedeutet für Preciado nicht nur Patriarchatsabbau, sondern muss notwendig das Gewaltsystem normierender Zweigeschlechtlichtkeit generell absetzen: «What is most urgent is not to defend what we are (men or women) but to reject it, to disidentify ourselves from the political coercion which forces us to desire the norm and reproduce it.»

In diesem Blog interessiert mich allerdings eine zweite Konsequenz, nämlich die nun öffentlich durchgeführten Arbeiten am Alpha-CisMännlichkeitsmodell, anhand der endlosen Liste berühmter Angeklagter. Auskunftsreich ist das im Zuge von #MeToo entstandene Genre der männlichen Celebrity-Entschuldigung, in dem verschiedene Grade an Einsicht in eigene Privilegien, Akzeptanz von Diskursregeln und an Shittiness (dt. Arschigkeit) verhandelt werden. Zum letzten Punkt kann die erhellende Liste Shitty Male Apologies From This News Cycle, Ranked herangezogen werden, die eine informative Kategorisierung sowie Hierarchisierung beschissener Entschuldigungen vornimmt, die nach Vorwürfen von sexueller Gewalt getätigt wurden. Die apologetische Gymnastik berühmter Männer kann dabei nur bedingt dem Confessional, also der Beichte und dem reuigen Eingeständnis zugerechnet werden. Zumeist werden zwar die Vorwürfe als real anerkannt, nicht aber die Taten. Und falls doch, dann vielfach nicht als ‹Fehltaten›.

Discursive Dick Moves: Louis C.K.

Der einfluss- und erfolgreiche Stand-Up-Komiker Louis C.K., von mehreren Kolleginnen beschuldigt, gegen ihren Willen vor ihnen masturbiert zu haben, drückte in seinem offiziellen Entschuldigungsschreiben z.B. aus, dass die Anschuldigungen gegen ihn zwar wahr seien, jedoch: «At the time, I said to myself it was okay because I never showed a woman my dick without asking first, which is also true. But what I learned later in life, is that when you have power over another person, asking them to look at your dick isn't a question. It's a predicament for them. The power I had over these women is that they admired me. And I wielded that power irresponsibly.»

Der oben gebrauchte Begriff «Gymnastik» ist hier wörtlich zu verstehen: Louis C.K.s Verdrehungen ermöglichen eine maximale Banalisierung bei größter Seelentransparenz – der Harrassment-Vorwurf wird primär als Bildungserlebnis interpretiert. Als Oberflächeneffekt tritt Reue zutage. Es gibt zwar ein Verständnis dafür, dass exhibitionistisches Onanieren mit Power Wielding zu tun hat. Einsicht in den strukturellen Konnex von Macht und Gewalt gibt es nicht – er wird als Effekt weiblicher Admiration gelesen. Louis CK performt solistisch einen männlichen Pas-de-Deux von Einsicht und Zurücknahme, Konzidierung und Verklärung, eingefasst als Monolog mit dem eigenen Geschlechtsteil vor Publikum. Für diese monologische (und auch wiederum masturbatorische) Diskursgymnastik männlicher Subjekte, der wir im Entschuldigungsgenre ständig begegnen, möchte ich den Begriff der Male Soliloquy vorschlagen. Gesichtswahrende Entschuldigungen sind selten richtig – Anerkennung des eigenen Verhaltens und dessen Gewaltförmigkeit, sowie eigener, struktureller Privilegierung sieht anders aus als eine fadenscheinige Rezentrierung auf die eigene Befindlichkeit in Konfrontation mit dem ausgeübten Machtmissbrauch.

Hilfestellung im Verständnis öffentlicher Onanisten wie Louis C.K. hat die Sextherapeutin Alexandra Katehakis aus Los Angeles in einem Interview gegeben. Nach ihrer Einschätzung agieren gewaltvoll masturbierende Männer aus einer komplexen Mischung von Liebesbedürfnis und Frauenhass, Selbstherrlichkeit und Selbstablehnung heraus: «…these men feel wildly inadequate [...] There’s something inherently primitive and childish about forcing a woman to watch you masturbate. It’s almost like ‹Look at me.› And there’s the possibility that he feels wanted, as disordered as that might sound. But the fact that she’s also scared and humiliated makes him feel powerful and aroused. There is a sense of power, plus a hostile revenge. That combination is what creates the high for this particular act.»

Der Kick des exhibitionistischen Onanisten liegt darin, Frauen in ein Blickarrangement zu zwingen, in dem er Objekt und Aggressor, Beschämender und Beschämter zugleich ist. Katehakis spricht damit ein schizoides Verhältnis zur eigenen Sexualität an. Der Onanist empfindet Lust an der selbst herbeigeführten sexuellen Blossstellung, die durch Macht und Gewalt (Sehzwang) in einen Racheakt gegen Frauen umgedeutet wird. Diskursiv vollziehen Louis C.K.s dick-zentrische Entschuldigungsverdrehungen dieselbe Gymnastik: Der Satz «I wielded that power irresponsibly» ist ebenso Schuldeingeständnis wie selbstherrliche Zurschaustellung, das mann Macht hat. Die männliche Entschuldigung ist a discursive dick move›, und trägt damit weiter zum Lustgewinn für den öffentlichen Onanisten bei: Wie an den Entschuldigungstexten deutlich wird, beziehen die Beschuldigten aus der kontrollierten Selbstentblössung höchste Befriedigung.

Gewalt als Sexualität (et vice versa): Mindhunter

Neben der Patriarchats- und Belästigungsdiskussion kann und sollte der Fall Louis C.K. – und meiner Meinung nach viele der Sexual Harrassers – damit auch an das Diskursfeld der männlichen Sexualpathologien angeschlossen werden. Dieses wird derzeit neuverhandelt, insbesondere im Fiktionalen, was im Folgenden interessieren soll. Der Filmregisseur David Fincher, bisher selbst nicht Teil der Hellscape of Sexual Harassment, verfilmte jüngst die Entstehung der Behavioral Psychology-Abteilung des FBI seit den 1960er Jahren, also dem Bereich, der sich mit Serienkillern und pathologischen Sexualstraftätern beschäftigt. Jede, die in den 1980ern und 90ern sozialisiert wurde, hat intime Kenntnis dieser us-amerikanischen Murderous Masculinities. Finchers Netflix-Serie Mindhunters passt, so die Washington Post, damit perfekt in die gegenwärtige Medienlandschaft, die auf «men who hate women» fokussiert ist.

Mindhunter folgt dem jungen FBI-Agenten Holden Ford, der aus einem abseitigen Interesse an Gewaltverbrechen heraus investigative Neuerungen einfordert, nämlich extensive Interviews mit inhaftierten Serienkillern und deren tiefenpsychologische Interpretation. Was die Krimi-Affinen als Profiling kennen – die Einfühlung  und Analyse der inneren Beweggründe von Gewaltverbrechern –, wird in Finchers Serie als Projekt eines dezidiert nerdigen und zu Beginn wenig maskulinen Studenten gezeigt, dessen ‹Psychobabble› von den gestandenen Cowboy-Cops des FBI nur belächelt wird. Sein kettenrauchender Partner Bill Tench trägt Buzzcut-Frisur und verkörpert tragisch das Gegenbild der krisenhaften Mittelklasse-Männlichkeit der späten 50er Jahre. Er erwärmt sich nur langsam für die Gespräche mit historischen Killern wie Edmund Kemper oder Richard Speck, welche die beiden auf ihrem Road Trip of Sexual Violence in zahlreichen Gefängnissen der USA führen.

Im Verlauf der ersten Staffel entfremdet sich Ford von seiner erfolgreichen Liebesbeziehung mit der emanzipierten Philosophie-Studentin Debbie Mitford und zieht den Thrill der verbotenen und monströsen Serienkiller-Sexualität dem erfüllt-hedonistischen Hetero-Sex auf Augenhöhe vor. Die endlosen Monologe der Mörder zur lustvollen Objektivierung von Frauen, zu Schuhfetischismus, marginalisierter Männlichkeit, Müttern und tödlichen Allmachtsphantasien ziehen Ford in einen Strudel der Dunkelheit. Ford kommt zu jener Einsicht, die auch Preciado einfordert, freilich ohne politische Konsequenz daraus zu ziehen: «There is no sexuality without a shadowy side. But the shadowy side (inequality and violence) does not have to predominate and predetermine all sexuality.» Finchers empathischer Protagonist erfühlt so ein Kontinuum männlicher Sexualität, in dem das detailversessenene Lustmördertum mit seiner eigenen weißen Beta-Männlichkeit verbunden ist – ein Kontinuum, das nicht-gewaltvolle Beziehungen zu Frauen generell in Frage stellt. Zum Teil wird Fords Attraktion zur ‹dunklen Seite› männlicher Sexualität/Macht narrativ aufgelöst, denn wenn der junge Agent auch selbst nicht zum Triebtäter wird, beendet er doch die machtsymmetrisch angelegte Beziehung zu seiner intellektuellen Freundin und mutiert zum Loner.

Wollen wir Fincher einen Gegenwartskommentar unterstellen, könnte der wie folgt aussehen: Die Auswahlmöglichkeiten zeitgemäßer (weißer) Männlichkeit bewegen sich zwischen domestizierenden Hetero-Arrangements mit gleichberechtigten Partnerinnen (Debbie), einem dysfunktionalen Patriarchenmodell (sein Partner), oder jener monadenhaften Beta-Männlichkeit, die Geschlechterbeziehungen generell durch Gewalt gegen Frauenkörper ersetzt hat und genüsslich über die eigene Pathogenese referiert. Wer Finchers Fight Club-Adaption (1995) erinnert – die richtungsweisende Emanzipationsblaupause für aktuell sich-unterdrückt-fühlende Beta-Männchen – erkennt, dass der Regisseur am imaginativen Ausbau einer weitgehend frauenfreien ‹Manosphere› bastelt. Deren Verhältnis zu Gewalt, Gesellschaft, sexueller Domestizierung oder Diskursregulierung wird allein unter Männern ausgehandelt und folgt ihren eigenen Regeln der Rationalität: In Mindhunter verkörpert vor allem die Persona Ed Kemper dieses Prinzip, ein zehnfacher Lustmörder mit hohem IQ, der freundlich-reflektiert seine eigene Pathologie und Sexualität erklärt, psychologisch aufschlüsselt und plausibilisiert. Kempers Botschaft ist deutlich: Die rationale Analyse männlicher Positionierung in einer an Emanzipation interessierten (lies: frauendominierten) Gesellschaft führt logisch zu männlicher Sexualität als Gewalt bzw. männlicher Gewalt als Sexualität. Und, so legt Fincher nahe, diese monologische Analyse sei interessant.

Diese schizoide Sexualität des Mannes als Produkt/Opfer von Emanzipationsbewegungen ist so interessant, dass Finchers Dramaturgie sogar einen möglichen Platz für weibliche Subjekte innerhalb der ausgedehnten Male Soliloquies findet: Zum Ende der Staffel stößt die Ivy League-Psychologin Wendy Carr zum Behavioral Sciences-Team, die akademisch an männlichen Sexualpathologien forscht. Die Serie charakterisiert Carr knapp als frauenliebend, so intellektuell wie gefühlskalt, und dezidiert genervt vom frühen Identity Politics-Diskurs ihrer Universität (und ihrer lesbischen Partnerin). Falls also, so schlägt Fincher vor, es einen Koexistenz-Pakt zwischen Männern und Frauen geben soll, dann kann dieser allein über die Faszination an gewaltförmigen Beziehungen und Schizo-Sexualitäten begründet werden. Nur Beta-Männer und lesbische Frauen kommen auf dieser dunklen Seite des Sex zusammen; draußen bleiben muss jeder Versuch gleichgestellter heteronormativer Arrangements.

Male Soliloquy w/ Orchestra

Dies scheint die Pespektive zu sein, den Mindhunter dem gegenwärtigen Diskurs um die Unverträglichkeit und Krankhaftigkeit männlicher Sexualität/Macht mitgeben will: Die Pathologie männlichen Sex/Gewaltverhaltens ist interessant. Im Serien-Ergebnis, soviel soll zu Finchers fiktionaler Programmatik gesagt werden, zeigt sich erstmal aber nur eine Anhäufung jenes Phänomens, dass zu Anfang bei Louis CK zu beobachten war: der narzisstischen und um-sich-selbst-kreisenden Male Soliloquy, die gewaltvolles Verhalten rationalisiert, banalisiert, rechtfertigt, abwiegelt und zu einer «aesthetics of domination» (Preciado) verklärt. Mindhunter baut eine Bühne für Weiße Männlichkeiten, die Liebesbedürfnis und Frauenhass, Sexualität und Gewalt, Selbstherrlichkeit und Selbstablehnung zugleich ausstellen, und mit ihrem monologischem Kreisen um diese Pole Aufmerksamkeit und Sympathie erzeugen.

Sexuelle Gewalt ist bei Fincher ein Thema von Männern für Männer, Teil eines solipsistischen Diskurssystems maskuliner Selbstfindung und -versicherung. Dies ist Prime Time-tauglich, womit ich eine letzte Parallele zum #MeToo-Komplex ziehen möchte: Im Zuge des Genres der öffentlichen Entschuldigung ist ein verwandtes Subgenre entstanden, das ich Male-Talk-Show-Host-Confronts-Celebrity-Harrasser nennen möchte. Als Hauptvertreter haben sich die Late Night Talker (und exemplary men) John Oliver und Stephen Colbert hervorgetan, die rezent zwei Beschuldigte – Dustin Hoffman (vgl. John Oliver confronts Dustin Hoffman on sexual harassment allegations) und James Franco (vgl. James Franco Supports ‹Time's Up,› Addresses Recent Accusations) – in ihren Sendungen mit bekannt gewordenen Anschuldigungen konfrontierten. Der Verlauf dieser Gespräche ist weniger wichtig als ihre ästhetische Ausführung: Beide Moderatoren folgen nicht der Geste des J'accuse, der öffentlichen Anklage, sondern der Folie des beunruhigten und interessierten Nachfragens. Oliver und Colbert gelten beide – vor allem durch ihre Trump-kritischen Monologe – als Schwert und Schild der gebildeten und stets geistig überlegenen liberals (vgl. den «smug liberalism»); Franco und Hoffman repräsentieren die intellektuelle Tradition des Schauspielers als instinktgetriebener Verwandlungskünstler. Inszenatorisch bringen diese Konfrontationen das Zwiegespräch verdächtiger Männlichkeit mit ihrem politisch korrekten Gewissen auf die Bühne: eine White Male Soliloquy mit verteilten Sprechern und Orchester.1 Ob es sich bei diesen Male Soliloquists um verdiente Harassers wie Dustin Hoffman oder monströse Imaginationsräume wie Ed Kemper handelt, zeigt lediglich das Genre an.
 

Unangemessene Männlichkeiten

Wie Gegenmaßnahmen herstellen zu diesen male soliloquies, welche die Aufmerksamkeitsökonomie zu bestimmen suchen und sich offensichtlich gegenseitig betanken? Zunächst ist es wichtig festzustellen, dass diese Diskursfaltungen nicht interessant sind, weil sie innerhalb des Kontinuums von Weißen CisMännlichkeiten – politisch-korrekt-nachfragend, öffentlich-in-sich-gehend, oder sich-einopfernd – keine neuen Sprech- oder Denkpositionen anbieten. Wie geläutert, beschämt, desavouriert, opferhaft oder verleumdet sich ein Belästiger/Mann durch Vorwürfe und Konfrontation mit der eigenen sexuellen Gewalt genau fühlt, ist für Kritik an sexueller Gewalt und Widerstand gegen die Gewaltförmigkeit des Zweigeschlechtersystems unwichtig. Optimistisch gelesen, zeigt die Häufung von Male Soliloquies lediglich an, dass Weiße CisMänner ein arges Aufmerksamkeitsdefizit verspüren angesichts der Diskursverschiebungen der letzten Jahrzehnte, hervorgebracht v.a. durch queer-feministische Machtkritik und differenzsensitives Denken von Gesellschaft und Öffentlichkeit. Das verzweifelte, pseudo-apologetische Monologisieren ist vor allem ein Versuch, das ungeteilte Rampenlicht zurückzuerobern.

Gewinnbringend wären aus meiner Sicht mehrere Strategien, die ich kurz umreißen möchte: 1. Zunächst sollten den Monologisten die Orchester gestrichen werden, ganz im Sinne jener diskursiven Kastrastion, die Gabriele Dietze und ich bereits angesprochen haben. Ob mann sich entschuldigen möchte oder nicht – es bedarf keiner Ansammlung von Leumundszeug_innen, Expert_innen und Publikum, um zu monologisieren/onanieren. 2. Auf analytischer Ebene schlage ich vor, die von Katehakis und Preciado diagnostizierte Unangemessenheit dieser Männlichkeiten herauszustellen und dekonstruktiv zu interpretieren: «These men feel wildly inadequate». Affekt- und Genderpolitisch gelesen weist diese Inadequate Position nämlich vor allem darauf hin, dass der Geschlechterzwang (nicht der Feminismus) cismännliche Subjekte stark überfordert, genau wie alle anderen. Diese Perspektive verweist weniger auf das privileglastige Manöver einer ‹Krise der Männlichkeit›,2 das zuverlässig im Machterhalt mündet. Vielmehr zeigt der Inadequate Affect die manifest fühlbare Unangemessenheit und shittiness männlicher Rollenmuster in egalitären Arrangements an – Folge wäre demnach nicht die hier angesprochenen Restaurations- oder Disziplinierungsarbeiten an der Cismännlichkeit, sondern deren Minoritär-Werden (Deleuze) innerhalb solcher Gesellschaftsverhältnisse.

Leicht konterintuitiv möchte ich eine Einsortierung der ‹Weinsteins, Wedels and other Wieners› (nach Jack Halberstam) als Anomalien vorschlagen und nicht als exemplarische Vertreter, an denen die Normen patriarchal-heterosexistischer Herrschaft am besten zu diskutieren sind. Natürlich sind diese Arschgeigen regelhafte Anomalien, die kontrolliert und flächendeckend von diesem Herrschaftssystem hervorgebracht und belohnt werden. Je mehr Ressourcen (Geld, Macht, Frauenkörper, Diskurshoheit, Publikum) für Weiße Cismännlichkeiten bereitstehen, desto besser können diese den Inadequate Affect in legitime Männlichkeit und Macht umwandeln und somit kompensieren. Trump, Weinstein, Wedel, Louis C.K. sind Spektakel dieser kompensatorischen Männlichkeitsformel, die paradoxerweise gerade durch ihre andauernde, gewaltvolle (und oft scheiternde) Überwindung der eigenen Unangemessenheit attraktiv für die Aufmerksamkeitsökonomie werden. Die Queertheoretikerin Lauren Berlant hat dieses Modell mit dem Begriff des «Combover Subject» (2017)3 auf den Punkt gebracht und schreibt: So mächtig diese Figuren sind – sie beziehen sie ihre Dominanz und Attraktivität gerade daraus, dass sie ständig (durch Belästigung und Apologie) an ihrer Unangemessenheit/Inadequacy arbeiten. Aus epistemologisch-kritischer Sicht kann es Sinn machen, am Anomaliestatus und der Male Inadequacy festzuhalten, denn an dieser Brüchigkeit männlicher Herrschaft lässt sich die Minorisierung/Partikularisierung von CisMännlichkeit vorantreiben.

Male Sexual Terror

Meine dritte und letzte Überlegung zum gesellschaftspathologischen Aspekt ist vor allem jüngsten Ereignissen geschuldet. Die männliche Antwort auf den Inadequate Affect beinhaltet immer Reaffirmation von Macht als Gewalt gegen Frauen und andere Others – vom Imaginationsraum Serienkiller über Louis CKs power wielding bis hin zu aktuellen Akten, die terroristisch sind: Der 25jährige Attentäter Alek Minassian, der am 23. April 2018 in Toronto mit einem Lieferwagen 10 Menschen tötete und weitere 15 verletzte, agierte laut Zeitungsberichten aus Misogynie und Hass auf Geschlechtsgewinner_innen. Minassian identifiziert sich, ebenso wie sein Vorbild Elliot Rodger, der 2014 in Californien sechs Menschen tötete, als «involuntary celibate», d.h. als vom sexuellen Tauschhandel zwischen Alpha-Männchen und Alpha-Frauen strukturell ausgeschlossener Beta-Mann. Der Guardian betitelt die sogenannten «incels» als Männer-Bewegung, die sich u.a. im Internet formiert hat: «Self-identified incels have used the internet to find anonymous support and develop an ideology whose central belief is that the modern world is unfairly stacked against awkward or unattractive heterosexual men». In Ermangelung anderer Ressourcen zur Kompensation dieses Awkward/Inadequate Affect werden Rodger und Minassian zu Terroristen männlicher Gewalt, die sich im Namen unangemessener Männlichkeit gegen eine heteronormative Gesellschaft als Ganzes richtet und (mehrheitlich) Frauen ermordet (vgl. der Bericht im Freitag und den Faktenfinder der ARD). Zwischen den althergebrachten Alltagsterrorismen von Belästigern (die wie Wedel oder Weinstein ihr weibliches Umfeld terrorisieren), der weit verbreiteten (und oft tödlichen) Gewalt gegen Partnerinnen und Frauen4, und den terroristischen Akten der Betamännchen besteht offensichtlich ein Kontinuum – nämlich jenes von männlicher Sexualität als Terror. Ob die Herausbildung neuerer Terrorformen, wie Gamergate (vgl. den Bericht im Spiegel), Santa Barbara oder Toronto, Hinfälligkeit oder eher Widerstandsfähigkeit patriarchaler Struktur anzeigt, bleibt offen.

  • 1Die wunderbare Diskussion der Plasberg-Sendung zum Thema von Louise Haitz legt Ähnliches nahe: Talksendungen fahren Frauenbeauftragte und andere Subjekte primär zur Orchestrierung Wedelscher Ent-Schuldigungsfloskeln statt zur Systemkritik auf.
  • 2Elahe Haschemi Yekani, The privilege of crisis: Narratives of masculinities in colonial and postcolonial literature, photography and film, Frankfurt/M., New York (Campus) 2011.
  • 3Lauren Berlant, Humorlessness (Three Monologues and a Hairpiece), in: Critical Inquiry 43.2 (2017), 305-340.
  • 4«Aus der Polizeilichen Kriminalstatistik geht hervor, dass es im Jahr 2016 bei den Delikten Mord, Totschlag und Tötung auf Verlangen insgesamt 1036 Fälle mit weiblichen Opfern gab. In 601 Fällen blieb es beim Versuch, 435 Frauen wurden getötet. Von diesen 435 Opfern lebten 163 gemeinsam mit dem Tatverdächtigen in einem Haushalt, 52 weitere standen in einem Beziehungs- oder Betreuungsverhältnis, bei 159 weiteren vollendeten Fällen gab es eine räumliche und/oder soziale Nähe zwischen Opfer und Tatverdächtigen. In 26 Fällen gab es keine entsprechende Nähe, in 35 Fällen war es ungeklärt, ob es eine Verbindung gegeben hatte. [....] Im Jahr 2016 wurden 149 Frauen sogar von ihrem jeweiligen Partner ermordet oder totgeschlagen. Zudem registrierte das Bundeskriminalamt mehr als 11.000 Fälle von gefährlicher Körperverletzung gegen Frauen durch den Partner, bei der einfachen Körperverletzung waren es fast 70.000 Delikte. Bei diesen Zahlen ist zudem von einer erheblichen Dunkelziffer auszugehen.» (Faktenfinder der ARD)

Bevorzugte Zitationsweise

Strick, Simon: Wenn sexuelle Belästiger sich entschuldigen: Monologe, Solipsismus, Terror. In: Zeitschrift für Medienwissenschaft, ZfM Online, GAAAP_ The Blog, , https://zfmedienwissenschaft.de/online/wenn-sexuelle-belaestiger-sich-entschuldigen-monologe-solipsismus-terror.

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