Direkt zum Inhalt
Videography

Screen-Stage-Dialoge

Zeugenschaft und Black Performance

29.9.2023

 

English Version

Trotz der damaligen Jim-Crow-Gesetze stieg in den USA während des Zweiten Weltkriegs das Interesse an schwarzer Tanz- und Ausdruckskultur explosionsartig. Tänzer*innen und Choreograph*innen mit schwarzen amerikanischen, afrikanischen und afrokaribischen Hintergründen erforschten Musik und Tanz der schwarzen Diaspora und brachten diese mit westlichen Tanzformen zusammen. Zu ihnen gehörten u.a. Zora Neale Hurston, Katherine Dunham, Pearl Primus und Asadata Dafora. In jener Zeit schuf die berühmte Tänzerin und Choreographin Katherine Dunham beispielsweise L’Ag’Ya, eine auf der Ausdruckskultur Martiniques beruhende Tanzdarbietung, und ging damit auf Tournee. Die einzige filmische Archivaufzeichnung, welche hiervon noch existiert, ist ein kurzer Clip mit dem Titel Ballet Creole von 1952 aus der Produktion von British Pathé. Fast ein Jahrzehnt zuvor, im Jahr 1943, schuf die in Trinidad geborene und in New York aufgewachsene Choreographin, Tänzerin, Aktivistin und Wissenschaftlerin Pearl Primus einen ihrer am meisten in Erinnerung gebliebenen und gepriesenen ‹Protesttänze›, das Solo Strange Fruit – eine Antwort auf die fortwährende Gewalt gegen schwarze Menschen in den USA. Im selben Jahr erschienen zwei Musicals mit vollständig schwarzer Besetzung: Regisseur Vicente Minellis Musical-Debüt Cabin in the Sky und Stormy Weather, welches vage auf dem Leben von Tänzer Bill ‹Bojangles› Robinson beruht. Für beide Choreografien war erneut Dunham zuständig.

Dieser Videoessay nutzt transformative und performative videografische/audiovisuelle Methoden.1 Das transformative Element zeigt sich in der Art und Weise, wie Rhythmus, Wiederholungen und Verbindungen zwischen den Filmausschnitten verknüpft werden. Der performative Ansatz wiederum kreiert aus den Verbindungen und Kontrasten zwischen den audiovisuellen Quellen neue Choreografien. Im Kontext dieser spezifischen Filme wird der Videoessay zu einem methodischen Instrument, welches darauf zielt, die politischen Potenziale der Filme und ihrer Choreografien zu erkunden.

Es bildet sich so ein Dialog zwischen Choreografie, Musik und Bildersprache heraus, aus dem verschiedene Ausprägungen von Zeugenschaft hervorgehen – die Akteur*innen werden zu Zeug*innen, sie sehen, beobachten, fühlen. Dieses ‹Beobachten als Bezeugen›, das die filmisch präsentierten Black Performances einfordern, provoziert die kritische Auseinandersetzung mit «der Reproduktion der historischen Gewalt und der Wunden [durch die Sklavereigeschichte], sowie mit den ethischen Implikationen und Grenzen von Empathie».2 Der Dialog zwischen den Filmen ermöglicht es weiter, sie auch über ihren jeweiligen historischen Kontext hinaus und aus einer Gegenwartsperspektive zu betrachten. So lädt der Videoessay die Zuschauer*innen dazu ein, sich mittels der Rezeption an ästhetischen und performativen Protestformen gegen die allgegenwärtigen Ausprägungen von Antiblackness zu beteiligen.3 Die poetischen und transformativen videografischen Methoden zeigen neue Bedeutungsmöglichkeiten dieser Filme auf. Durch das Verfremden traditioneller Vorstellungen von Tanz, Körper und performativen Verknüpfungen kann ein breiteres Netzwerk der Solidarität und interkulturellen Resonanz geschaffen und so das Potenzial des Tanzes als dialogisches Instrument dargestellt werden.
 

  • 1Vgl. Jason Mittell: Videographic Criticism as a Digital Humanities Method, in: Matthew K. Gold und Lauren F. Klein (Hrsg.), Debates in the Digital Humanities, Minneapolis 2019, 224–42. 
  • 2Saidiya V. Hartman: Scenes of Subjection: Terror, Slavery, and Self-Making in Nineteenth-Century America, New York: W.W. Norton. & Company, 2022 [1997], 373.
  • 3Christina E. Sharpe: In the Wake: On Blackness and Being, Durham, NC: Duke University Press 2016. 

Bevorzugte Zitationsweise

Igartuburu, Elena: Screen-Stage-Dialoge. Zeugenschaft und Black Performance. In: Zeitschrift für Medienwissenschaft, ZfM Online, Videography, , https://zfmedienwissenschaft.de/online/videography-blog/screen-stage-dialoge.

Die Open-Access-Veröffentlichung erfolgt unter der Creative Commons-Lizenz CC BY-SA 4.0 DE.