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Videography

Feedback neu denken

Eine pädagogische Begegnung mit Videoessay-Studierenden

29.2.2024

English version

Ich habe mich dafür entschieden, diese Betrachtung in der ersten Person zu schreiben. Ich bin mir bewusst, dass dies im Allgemeinen nicht die übliche Vorgehensweise für eine akademische/wissenschaftliche Arbeit ist; da sich diese Diskussion jedoch aus meinen eigenen Erfahrungen sowohl als Student als auch als Dozent innerhalb des Hochschulsystems im Vereinigten Königreich entwickelt, halte ich es für wichtig, diese Gedanken so transparent wie möglich wiederzugeben.

Dieser Beitrag ist das Ergebnis eines Roundtable-Gesprächs, an dem ich während des Symposiums «Videography: Art and Academia. Epistemological, Political and Pedagogical Potentials of Audiovisual Practices», das im November 2022 in Hannover stattfand, teilnahm. Für den Roundtable mit dem Titel «Erfahrungsberichte von (künstlerischen) Doktorandinnen und Doktoranden» hatte ich mich entschieden, einige Gedanken zu meinen Erfahrungen mit dem Feedback zu meiner videografischen Promotionspraxis zu machen. Seit 2019 habe ich eine Reihe von Videoessays als Teil meiner Forschung gemacht und hatte das Glück, dass einige davon in Fachzeitschriften mit Peer-Review veröffentlicht wurden. In meinen Kommentaren auf dem Symposium schlug ich vor, dass der Titel des Roundtables zu Recht den künstlerischen Charakter von Videoessays in der wissenschaftlichen Forschungspraxis hervorhebt, aber dabei auch (zumindest für mich) die Frage aufwirft, wie diese Kunst von Kolleginnen und Kollegen, Tutorinnen und Tutoren sowie Betreuerinnen und Betreuern kritisiert werden könnte. Ich selbst bin mir der Tatsache bewusst geworden, dass ich auf Feedback zu meinen Videoessays anders reagiere als auf das zu meinen schriftlichen Arbeiten. Während ich versuche, die Form des Videoessays zu erforschen und mit ihr zu experimentieren, merke ich, dass meine Arbeit mehr künstlerische Elemente und vielleicht ein größeres persönliches Engagement enthält, was dazu führt, dass sich negatives Feedback zu meiner Arbeit sofort persönlicher anfühlt, auch wenn es nicht so beabsichtigt ist. Tatsächlich fiel es mir anfangs schwer, auf ansonsten gut gemeinte Rückmeldungen positiv zu reagieren, was mich dazu veranlasst hat, darüber nachzudenken, wie ich anderen Personen Feedback auf ihre Videoessays gegeben habe und wie es wohl aufgenommen worden ist. Ich habe einige Zeit gebraucht, um meine Reaktion auf Feedback zu meinen Videoessays zu kalibrieren, und ich vermute, dass dies zum Teil darauf zurückzuführen ist, dass ich nicht vorausgesehen habe, wie sehr ich mich persönlich in die kreative Praxis, in die Produktion dieser Videoessays, einbringen würde, und sie stattdessen als etwas ansah, mit dem ich mich aus einer kritischen Distanz heraus beschäftigen konnte und wollte. Das künstlerische Prinzip des Videoessays anzuerkennen, bedeutet auch anzuerkennen, dass für die Machenden solcher Arbeiten sehr wahrscheinlich mehr auf dem Spiel steht, dass sie mehr von sich selbst in die Arbeiten investieren. Das heißt, die videografische Arbeit selbst erwartet von ihnen, dass sie sich ganz in sie vertiefen (im Gegensatz zu einer bloßen Beschäftigung mit ihr), und somit erhalten sie Feedback und Kritik zu etwas, das sie möglicherweise in hohem Maße persönlich und emotional betrifft. In dieser Situation ist es meines Erachtens nicht möglich und auch nicht vertretbar, von den Studierenden im Bachelorstudium zu erwarten, dass sie die alleinige Last schultern, das Feedback zu verarbeiten, und versuchen, es nicht persönlich zu nehmen. In diesem Beitrag möchte ich einige weiterführende Überlegungen zur Gestaltung des Feedbacks und zum Umgang mit Feedback anstellen, diesmal jedoch aus der Perspektive des Tutors und nicht des Studenten, da ich jetzt ein Modul leite, in dem Filmstudierende audiovisuelle Essays produzieren.

Kontext

Das genannte Modul besteht aus einer relativ gleichmäßigen Aufteilung zwischen theoretischer Diskussion und der tatsächlichen Produktion eines audiovisuellen Artefakts (eines Videoessays). Zu Beginn des Moduls (in den ersten sechs Wochen) sind mehrere Übungen vorgesehen, die sich an der «Middlebury-Methode»1 orientieren, also an den Workshops zum videografischen Arbeiten, die von Christian Keathley und Jason Mittell am Middlebury College durchgeführt werden. Der letzte Teil des Moduls ist der Produktion eines individuellen audiovisuellen Artefakts gewidmet, wobei jede/r Studierende das Thema und den Umfang seiner Arbeit selbst bestimmt. In diesem letzten Teil des Moduls, in dem die Studierenden von den festgelegten Übungen zu ihrer eigenen künstlerischen Praxis übergehen, habe ich das Gefühl, dass ich die Form meines Feedbacks an sie neu denken muss.

Das Rad neu erfinden

Meine Entscheidung, die Form und die Methode der Rückmeldung in diesem Modul zu überarbeiten, ist nicht als Kritik an anderen bestehenden Feedbackmethoden zu verstehen. In der Tat haben meine Nachforschungen über den Feedbackprozess speziell für die Produktion von Videoessays sehr wenig ergeben, was einen definitiven Ablauf angeht, den man verwenden könnte. Die «Middlebury-Methode» hat mir als Neuling auf dem Gebiet der Videoessays zwar eine Auswahl an bewährten Übungen an die Hand gegeben, die ich mit meinen Studierenden abarbeiten kann, aber es gibt kaum eine Auseinandersetzung mit der Art und Weise, wie ich ihnen Feedback über den Erfolg (oder Misserfolg) ihrer Arbeit geben kann. In Anbetracht der relativen Neuartigkeit des Videoessays als Unterrichtsgegenstand im akademischen Bereich und in Anbetracht der etwas nebulösen Natur der Form selbst ist es vielleicht nicht überraschend, dass dieser Aspekt der Vermittlung übersehen oder vielleicht vorausgesetzt wurde, dass bereits existierende Feedbackmechanismen verwendet werden könnten. Warum also das Rad neu erfinden?

Diese neue Form wirft auch Fragen der Mediumspezifik im Kontext der seit langem etablierten akademischen Bewertungsstandards und -praktiken auf: Sollten wir zum Beispiel versuchen, die (oft unausgesprochenen) Normen und Traditionen der schriftlichen Filmwissenschaft in audiovisuelle Versionen zu «übersetzen», oder sollten wir von Anfang an die Idee akzeptieren, dass wir ontologisch neue wissenschaftliche Formen schaffen.2

Ich schlage vor, dass die «seit langem etablierten akademischen Bewertungsstandards und -praktiken»,3 auf die Catherine Grant hier verweist, auch die Art des Feedbackprozesses umfassen müssen, der diese neue wissenschaftliche Form ergänzt. Und dass dieser Feedbackmechanismus die unterschiedlichen persönlichen Investitionen der Studierenden in ihre Videoessay-Praxis berücksichtigen sollte, in der, wie Johannes Binotto feststellt, künstlerische und akademische Fähigkeiten und Potenziale zusammenfließen und vielleicht sogar aufeinanderprallen.4 Damit will ich nicht sagen, dass alle Studierende, die ich unterrichte (oder auch nur einzelne von ihnen), diese Haltung bei ihrer Arbeit einnehmen, aber ich möchte sie dazu ermutigen, sich – wie ich – in die Arbeit, in das Material ihres Studiums zu vertiefen und sich selbst als Filmschaffende zu sehen, die ein Werk produzieren, das sowohl ihrem künstlerischen Impuls als auch ihrem akademischen Anspruch gerecht wird. Um dieser neuen wissenschaftlichen Form zu entsprechen, muss eine Feedbackmethode dieses Best-Case-Szenario nicht nur antizipieren, sondern die Studierenden auch dazu ermutigen, dieses Ziel zu erreichen.

Feedback oder Kritik?

In ihrem Artikel «Kindness in Educational Critique»,5 stellen Caroline Yoon und Sarah Penwarden fest, dass Rückmeldungen von Lehrkräften tendenziell korrigierend wirken und oft darauf abzielen, eine wahrgenommene Lücke zwischen dem aktuellen Kenntnisstand der Studierenden, der sich in ihrer Arbeit an einer bestimmten Aufgabe zeigt, und dem gewünschten (oder erforderlichen) Endziel für diese Arbeit zu schließen.6 Im Zusammenhang mit einer Studienarbeit wie der hier besprochenen gibt es in der Tat einen Korrektheitsanspruch, der von den Studierenden erfüllt werden muss. Dabei kann es sich jedoch um eine lose definierte Reihe zulässiger Parameter für die Arbeit handeln, die auf weniger kreativen Elementen wie der Länge des Videoessays, dem zugrunde liegenden Material, der Auseinandersetzung mit dem akademischen Diskurs und einem Bewusstsein für den größeren Korpus an videografischen Arbeiten beruhen. Diese Vorgaben tragen dazu bei, ein ‹richtiges› Endprodukt zu schaffen, indem sie den Studierenden ein ausreichendes Gerüst an die Hand geben, damit sie sich bei der Auslotung ihres künstlerischen Impulses sicher fühlen und gleichzeitig kreativen Spielraum behalten können. Dennoch schränken diese Parameter die finale Form des kreativen Werks nicht übermäßig ein und sollten dies im Idealfall auch nicht tun. Wenn es ein wissenschaftliches Werk gibt, das sich flexibel an neue Ansätze anpassen kann, dann ist es der Videoessay. Folglich sollte es bei der Rückmeldung weniger darum gehen, sicherzustellen, dass die Studierenden es richtig machen, sondern vielmehr darum, ihnen zu helfen, zu erkennen, wo es interessant werden könnte. Yoon und Penwarden schlagen deshalb den Begriff ‹Kritik› für diese Art von spezifischer Interaktion mit den Studierenden vor, indem sie darauf hinweisen, dass eine Kritik «darauf abzielt, das Wachstum einer kreativen Arbeit zu fördern: nicht indem sie vorschreibt, wie dieses Wachstum auszusehen hat, sondern indem sie die sich entwickelnde Fähigkeit des Schaffenden fördert, das Werk zu entwickeln».7

Funktion trifft Form

Die Verwendung des Begriffs ‹Kritik› führt zu einer einfachen und vielleicht offensichtlichen Assoziation mit der ‹Crit›, einer in der Kunst- und Designausbildung verwendeten Lehr- und Feedbackmethode, bei der die Studierenden ihre Arbeit einer Lehrperson, einem Gremium, ihren Kommilitonen oder einer Kombination aus all diesen präsentieren und sich an einer Diskussion über die Arbeit beteiligen.8 Im Kontext der Kunst- und Designpraxis ist diese Form der Kritik Teil des iterativen Gestaltungsprozesses, vergleichbar mit den letzten Phasen des von mir geleiteten Videoessay-Moduls, in dem die Studierenden wöchentlich an der Fertigstellung ihres audiovisuellen Artefakts arbeiten. Es ist wichtig zu beachten, dass es sich bei der Crit nicht um einen passiven Prozess handelt, bei dem die Studierenden Feedback erhalten. Eine Crit bietet die Möglichkeit einer Präsentation und möglicherweise einer Verteidigung der Arbeit, im Gegensatz zu dem körperlosen und etwas einseitigen Prozess der schriftlichen Kommentare oder Rückmeldungen zu Arbeiten, die per E-Mail verschickt oder geteilt werden. Daher hängt der Erfolg der Crit sowohl für die Studierenden als auch für die Lehrperson von der Fähigkeit der Studierenden ab, sich voll und ganz darauf einzulassen und ihrer Arbeit innerhalb der Dynamik der Crit gerecht zu werden. Der Einsatz der Crit als Teil meiner Lehrmethode bedeutet, dass ich sicherstellen muss, dass die Studierenden den Zweck der Crit verstehen und ausreichend vorbereitet sind, um sie optimal zu nutzen.

Wertschätzendes Feedback formulieren

Damit dies mehr als nur eine Übung in Semantik ist, bei der Rückmeldung jetzt Kritik ist und Schreibtisch-Tutorien nunmehr Crits sind, muss auch ich mich selbst einer Revision unterziehen, bei der ich die Sprache der traditionellen Feedbackgespräche umformuliere und für ein wertschätzenderes Vorgehen neu denke. Der Begriff der Wertschätzung wird hier nicht als Ersatz für Nachsicht verwendet, und der Versuch, Wertschätzung in eine pädagogische Begegnung einzubringen, bedeutet nicht, dass über Fehler hinweggesehen wird.9 Es handelt sich vielmehr um einen Perspektivwechsel auf Seiten der Lehrperson, um «die typischen Machtstrukturen ..., die ihre Kontrolle ermöglichen, aktiv aufzuweichen» und sich «der Stimmung der pädagogischen Demut hinzugeben und nicht nur Techniken anzuwenden, die diese ohne Rücksicht auf die eigenen Gefühle nachahmen».10 Der Satz «Sie können diese Rückmeldung annehmen oder ablehnen» wird für die Studierenden oft durch die korrigierende (manchmal belehrende) Sprache, die bei der Vermittlung verwendet wird, und die Tatsache, dass es eine klare Dynamik zwischen den Lehrenden und den Lernenden gibt, bei der eine sehr reale Konsequenz (Noten/akademische Leistungen) auf dem Spiel steht, abgemildert. Die Aufweichung der Machtstrukturen innerhalb des Crit-Prozesses und der dialogische Charakter der Begegnung mit der Lehrperson tragen dazu bei, die Kritik so zu positionieren, dass die Studierenden sich befähigt fühlen, darauf so zu reagieren, wie es für sie und die Entwicklung ihrer Arbeit am nützlichsten ist. Aus dieser Perspektive ist es möglich, einen klaren Unterschied zwischen dem korrigierenden Ansatz des Feedbackprozesses (und der spezifischen Sprache, die ihn begleitet) und der Kritik zu erkennen, die eine Begegnung mit der künstlerischen Arbeit (und dem künstlerischen Studierenden) darstellt. Und in dem speziellen Fall des Videoessays, in dem ich meine Studierenden ermutige, ihre eigene persönliche Auseinandersetzung mit dem Untersuchungsgegenstand (in diesem Fall Film) zu erforschen, warum sollte ich dann nicht erwarten, dass meine Kritik nicht auch eine andere Form der persönlichen Auseinandersetzung ist, «eine notwendigerweise subjektive».11

Ich bin mir bei der Konzeption dieses Verfahrens der Videoessaykritik bewusst, dass die in meinem Text enthaltenen Ideale noch weiter revidiert werden müssen. Ich bin sehr besorgt darüber, dass ein Verfahren wie das hier vorgeschlagene sich für bestimmte Studierende als weniger nützlich erweisen könnte und dass Elemente des korrigierenden Feedbacks immer noch einen Platz in den Begegnungen mit Studierenden finden könnten. Ich darf auch nicht aus den Augen verlieren, dass dieser Prozess im besten Interesse und zum Nutzen der Studierenden funktionieren muss. Wenn die Empfindsamkeiten mit dem besten Ergebnis für einen Studierenden im Rahmen des Moduls kollidieren, dann sollten individuelle Anpassungen vorgenommen werden. Daher ist es meine Absicht, dieses Verfahren und meine eigene Auseinandersetzung mit ihm bei jeder neuen Begegnung mit meinen künstlerischen Studierenden weiter anzupassen.

  • 1Liz Greene: Teaching the Student, Not the Subject: Videographic Scholarship, in: The Cine-Files, Fall 2020, www.thecine-files.com/teaching-the-student-not-the-subject/ (20.2.2023).
  • 2Catherine Grant: The Shudder of a Cinephiliac Idea? Videographic Film Studies Practice as Material Thinking, in: ANIKI: Portuguese Journal of the Moving Image, Jg. 1, Nr. 1, 2021, 49-62.
  • 3Ibid.
  • 4Johannes Binotto: Accenting the Accidental: Video Essay Research as Experimental Practice, at THEORY & PRACTICE OF THE VIDEO-ESSAY, 22.9.2022 UMass Amherst.
  • 5Caroline Yoon & Sarah Penwarden: Kindness in Educational Critique, in: Knowledge Cultures, Jg. 9, Nr. 3, 2021, 169-183, doi: 10.22381/kc93202110.
  • 6Ibid.
  • 7Ibid.
  • 8John Healy: The Components of the «Crit» in Art and Design Education, in: Irish Journal of Academic Practice, Jg. 5, Nr. 1, doi: 10.21427/D7RB1V.
  • 9 Sue Clegg & Stephen Rowland: Kindness in Pedagogical Practice and Academic Life, in: British Journal of Sociology of Education, Jg. 31, Nr. 6, 719-735, doi: 10.1080/01425692.2010.515102.
  • 10Jason McDonald & Esther Michela: This Is My Vision: How Students Depict Critiques along with Themselves During Critiques, in: Journal of Design Research, Jg. 18, Nr. 1/2, 57-59, doi: 10.1504/JDR.2020.10033227.
  • 11Yoon & Penwarden: Kindness in Educational Critique.

Bevorzugte Zitationsweise

Donnelly, Cormac: Calibrating for Kindness. A Pedagogical Encounter with Video Essay Students. In: Zeitschrift für Medienwissenschaft, ZfM Online, Videography, , https://zfmedienwissenschaft.de/en/online/videography-blog/feedback-neu-denken.

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