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Mind Control

Call for Papers ZfM 32 – Mind Control

«Whoever controls the media, controls the mind» – dieser Ausspruch stammt nicht von Jim Morrison, wie gerne kolportiert wird, sondern lässt sich bis in die 1950er Jahre zurückverfolgen, als der Kalte Krieg in seine intensivste Phase eintrat. Dass die Medien massiven Einfluss auf Stimmungen, Überzeugungen und Denkweisen nehmen, ist eine Ansicht, die in den 1960er Jahren von der künstlerischen und intellektuellen Counterculture radikalisiert und gegen die eigene Regierung gewendet wird. Von nun an wird die Paranoia, dass Medientechnologien ganze Bevölkerungsgruppen zu Marionetten böswilliger Akteur*innen machen könnten, zu einem intrinsischen Bestandteil der Lebenswelt und zu einem wiederkehrenden Thema in Film, Literatur und Journalismus. 

Obwohl die Beschäftigung mit Themen wie Gehirnwäsche, Mentizid, thought reform, Bewusstseinskontrolle und Psychological Operations in der Geschichts-, Literatur- und Religionswissenschaft sowie der Psychologie seit langem etabliert ist, hat sich die Medienwissenschaft damit bisher nur peripher beschäftigt. Mit dem Schwerpunkt «Mind Control» wollen wir diesbezüglich Abhilfe schaffen. Wir gebrauchen den Begriff «Mind Control» als umbrella term für strategische Versuche unzulässiger und verdeckter Einflussnahme auf Denken, Fühlen und Verhalten von Individuen, Gruppen und ganzen Bevölkerungen. Dabei gehen wir von einem Spektrum der affektiven und kognitiven Einflussnahme aus, das von Suggestion über Manipulation bis zur Indoktrination reicht und zudem das Angstbild einer völligen Willens- oder Verhaltenssteuerung umfasst. Angesichts rezenter Verschwörungserzählungen zur angeblich ubiquitären Bewusstseinskontrolle von Nutzer*innen ‹gesteuerter› Medien ist die medienwissenschaftliche Auseinandersetzung mit diesem Themenkomplex überfällig. 

In der deutschen Medienwissenschaft ist die Thematik der intentionalen Einflussnahme aufgrund ihrer Theoriegeschichte im Hintergrund geblieben. Die lange vorherrschende methodologische Engführung auf Medientechniken und Apparaturen machte es schwer, über mediale Inhalte sowie menschliche Akteur*innen zu sprechen, die sich dieser technischen Infrastrukturen zu bedienen wissen. Im kollektiven Imaginären nehmen Medientechnologien hingegen schon lange eine zentrale Stellung in den klassischen Szenen der Einflussnahme ein. Beginnend bei den paranoiden Vorstellungen James Tilly Matthewsʼ bezüglich des «air loom» im London des frühen 19. Jahrhunderts über die von Viktor Tausk im frühen 20. Jahrhundert untersuchten «Beeinflussungsapparate» bis hin zu den digitalen Medienumgebungen des frühen 21. Jahrhunderts rückt immer mehr in den Blick, dass diversen Medien diverse Ermöglichungskapazitäten bezüglich intentionaler Einflussnahmen zugeschrieben werden. Inzwischen hat sich eine Terminologie etabliert, die von Trollfarmen, cognitive warfare und cyber troops bis zu computational propaganda und networked disinformation reicht und dabei immer neue Ausdrücke für die dynamischen Verhältnisse digitaler Einflusskampagnen hervorbringt.

Wenn man den historischen Blick über den Horizont des klassischen Mind Control-Diskurses ausdehnt, der mit den Moskauer Schauprozessen einsetzt und mit dem von der US-Regierung im Kalten Krieg so empfundenen mind control gap mitsamt den von der CIA durchgeführten Gehirnwäsche-Versuchsreihen einen ersten Höhepunkt erreicht, tritt diese konstitutive Eignung der Medien für die Strategien und Taktiken der Einflussnahme und Bewusstseinssteuerung in aller Deutlichkeit hervor. So hat die postkoloniale Bibelkritik die Rolle der sogenannten heiligen Schrift in vielen Prozessen der Kolonialisierung hervorgehoben – eine Rolle, die der Bibel wohlgemerkt auch heute noch unter neokolonialen Vorzeichen zukommt. Das innige Verhältnis von Kolonialismus, Indoktrination und Medientechnik lässt uns zudem nach den Perspektiven von race, class und gender in ihren Bezügen zur langen Geschichte mediengestützter Mind Control fragen. 

Was die Genderthematik betrifft, so erweist sich der Mind-Control-Diskurs als tief von patriarchalen Mustern durchzogen. Von den männlichen Magnetiseuren der Aufklärungszeit zu den Hypnotiseur-Figuren des frühen 20. Jahrhunderts zieht sich eine sexistische Linie, die Suggestionskraft stets auf die männliche und Suggestibilität zumeist auf die weibliche Seite verteilt. Ein genderspezifisches Beispiel der Einflussnahme hat in den letzten Jahren eine diskursive Renaissance erfahren: das auf Patrick Hamiltons Theaterstück Gas Light (1938) zurückgehende «gaslighting». Das Hoch- oder Niederdrehen des Gashahns steht hier metonymisch für alle Medientechniken ein, mit deren Hilfe der Wirklichkeitssinn einer Zielperson außer Kraft gesetzt wird.

Auch die Klassenfrage ist tief in diese Diskurse eingeschrieben. Denn wer die Medien kontrolliert, kontrolliert damit in vielen Zuschreibungen auch die Massen der Nicht-Privilegierten, der Arbeiter*innenschaft oder der Ungebildeten. Die Kulturindustrie-Diagnose ist aus dieser Sicht als softere Variante der harten Mind-Control-Thesen lesbar. Vor allem bringt sich in der Auffassung, die Massen würden im Kapitalismus durch Kulturerzeugnisse notwendig manipuliert und hypnotisiert, die von Marx und Engels eingeführte Kategorie des «falschen Bewusstseins» zum vielleicht prägnantesten Ausdruck. Inwieweit die orthodoxe marxistische Klassenperspektive bezüglich der quer durch die sozialen Schichten genutzten webbasierten Medien heute noch triftig ist, ist allerdings fraglich. Zugleich wird in vielen Verschwörungserzählungen und auch in anderen Manipulationsthesen erneut das Bild einer passivierten «Masse» beschworen (vgl. den despektierlichen Ausdruck «sheeple»).

Aus spezifisch medienwissenschaftlicher Sicht ist bekannt, dass ein jeder Medienwandel mit einer moralischen Panik einherzugehen scheint. Auch die wissenschaftliche Mind-Control-Literatur ist voll von – zumeist übertriebenen – Mutmaßungen über die strategische Einsetzbarkeit jeweils neuer Technologien (z. B. Cambridge Analytica). Es ist danach zu fragen, ob bezüglich der Berichterstattung über die negativen Auswirkungen digitaler und vor allem sozialer Medien im späteren Rückblick ebenfalls eine kulturkonservative Übertreibung festgestellt werden wird. Was die tiefe epistemische Verunsicherung und Anfälligkeit für Manipulationsstrategien in weiten Teilen der Bevölkerung betrifft, scheint es allerdings ausreichend reale Anlässe zur Besorgnis zu geben. Zu fragen ist dabei, ob der prekäre Stellenwert von Begriffen wie Wahrheit, Faktizität und Authentizität nur ein notwendiger, aber vorübergehender Nebeneffekt des Umgangs mit neuen Medientechniken ist, oder ob er nicht auch zugleich der geschickten Nutzbarmachung dieser Medien durch Akteur*innen der psychologischen Kriegsführung in Zeiten der Informationskriege geschuldet ist.

Nun hat gerade der traditionelle medienwissenschaftliche Blick auf die Agentialität der Medien den Vorzug, allzu instrumentalistische Auffassungen bezüglich der Realitäten medialer Einflussnahme in die Schranken zu weisen. Bestimmte Medien mögen zwar bestimmte Formen der Persuasion, Kontrolle und Steuerung ermöglichen, aber sie tun dies jeweils auch eigenwillig und wirken störend und störrisch auf ihre Akteur*innen zurück. So ist die Geschichte der Mind Control zugleich reich an Enttäuschungen, Ernüchterungen und Entwarnungen. Nicht jede Hoffnung und auch nicht jede Paranoia erweist sich im historischen Rückblick als begründet.

Der Themenschwerpunkt setzt sich mit dem Verhältnis von Medientechniken zum Phänomenkomplex unzulässiger und/oder verdeckter Einflussnahme auf Denken, Fühlen und Verhalten auf mehreren Ebenen auseinander. Zum einen interessieren wir uns für konkrete Fallstudien zu einzelnen Medien, Apparaturen oder technischen Systemen als reale oder imaginierte Einflussgeber*innen. Welche Besonderheiten weist etwa die Geschichte des Diskurses über das Kino als Medium der Mind Control auf? Und wie verhält sich dies zu den Fantasien bezüglich anderer Medien wie Fernsehen, Internet oder Klangmedien als Manipulationsmittel? Wie könnte eine Dispositivanalyse zu Psychologischen Operationen («psy-ops») der Gegenwart aussehen?

Zum anderen laden wir dazu ein, allgemein über das Verhältnis von Medientheorie und Mind Control-Diskursen im historischen Wandel nachzudenken. Wie haben physiologische und neurologische Theorien seit de la Mettrie, Charcot und Pawlow diese Debatten geprägt? Welche Wurzeln hat der moderne Mind-Control-Diskurs in der konservativen Technik- und Kulturkritik seit Nietzsche? Was ist die Beziehung zwischen den Beeinflussungsapparaten, die in den Fantasien seit der Industriellen Revolution auftauchen, und früheren Ängsten bezüglich der Steuerung durch Dämonen oder Geister? In welchem Verhältnis stehen die Idee vom ‹falschen Bewusstsein› und die Medienkritik der Kritischen Theorie zum Diskurs um Mind Control und Brainwashing? Wie sollte die Medientheorie mit der Frage der Agentialität in diesem Kontext umgehen? Wer sind die (neuen?) Akteur*innen in den Praktiken der Desinformation im Internet? Wie lassen sich diese Akteur*innen-Netzwerke angemessen beschreiben? Liegt der Schwerpunkt der Agency überhaupt noch bei menschlichen Akteur*innen, oder sind tatsächlich die technomedialen Infrastrukturen inzwischen der stärkere Faktor, wie es in der Medientheorie immer wieder behauptet wird? Und inwiefern hat die klassische Medientheorie mit ihrem Hang zum Technikfetischismus eigene Varianten zum Spektrum der Mind-Control-Fantasien hinzugefügt?

Schwerpunktredaktion: Bernd Bösel, James Kennaway

Ideen für mögliche Beiträge können gern vor dem Einreichen der ausgearbeiteten Texte mit der Schwerpunktredaktion besprochen werden.

Beiträge können bis zum 30. September 2024 hier eingereicht werden: 
bernd.boesel[at]uni-potsdam.de, james.kennaway[at]rug.nl

Autor*innen werden gebeten, die Zitierweise und Formalien ihrer Texte an den StyleGuide der ZfM anzupassen.