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Onlinebesprechung

Das Diva-Sein der Pflanzen

Konstanze Hanitzsch über «Mean greene mother from outer space»

16.12.2017

Vom 10. November bis 17. Dezember 2017 veranstalteten das Ballhaus Ost und Copy & Waste einen «temporary space for the nature of cities and the city as nature» im Ku’damm Karree im tiefsten Westen Berlins. Hier gab es Performances, Musiktheater, Tanz, Film, Diskussionspanels, Lectures, Konzerte und Food.

Mich hatte es in die Episode 2 verschlagen: Zu einem Stück über «die gefährliche Star-Quality von Pflanzen» (so heißt es im Programmheft):  
«Mean Greene Mother from outer space. Von Philine Rinnert, Johannes Müller & Gerhild Steinbuch».

Schon das Ankündigungsbild, das ich bei Facebook sah, erregte meine Aufmerksamkeit: Blattglanz! Es gibt Blattglanzspray für Zimmerpflanzen?

Foto: (c) Philine Rinnert

Und dann der Titel: Die grüne (greene? War das ein Tippfehler?) böse Mutter aus dem Weltall… Was war das denn noch gleich? Oha, es handelte sich dabei um eine Textzeile aus einem Song des Musicals «Little Shop of Horrors». Audrey II, die fleischfressende Pflanze gibt sich darin als Pflanzenmonstrum aus dem All zu erkennen, das gekommen ist, um sich hemmungslos zu vermehren und die Herrschaft über die Welt zu erlangen. Am Ende siegt das Menschliche über die Pflanze und die Welt ist gerettet. Jedoch existiert auch ein sad ending, in dem Audrey sich an die Pflanze verfüttert und die Welt von den Pflanzen übernommen wird. Rinnert, Müller und Steinbuch transformieren hier die Geschichte der ersten Broadway-Audrey I (Ellen Greene!) der Hauptfigur in Little Shop of Horrors, in eine Performance über das Diva-Sein der Pflanzen.

Spiel- bzw. Performanceort ist ein stilisierter Garderobentisch/Blumenladen: Shlomi Moto Wagner gibt die Ellen Greene und schminkt, schminkt, schminkt sich. Jördis Richter gibt Audrey, wird selbst zur Pflanze, dessen Blüte/Kopf in Zellophanfolie gewickelt singt. Da sind zum anderen aber auch die Pflanzen, die hier ihre Rollen spielen, zugerichtet werden, angerichtet, während Wagner sich schminkt und schminkt und schminkt.
Die Zuschauenden schauen diesem Blumen- und Menschenarrangement zu.

Durchsetzt ist die Performance mit Interviews mit Ellen Greene (die über sich sagt, dass sie – manchmal – mehr drag ausschaue als jede Drag-Queen). Besser gesagt, Ellen Greenes Pflanzendasein bildet das Stück im Stück. «She [Audrey] was ripe enough to fall off a tree like a peach», sagt Greene im Interview und Wagner, der Greenes Interviewparts lip synced, verzieht ebenso verzückt das Gesicht wie Greene im Interview. Greene ist über die Jahre selbst zu einem pflanzenhaften Wesen geworden. So hat sie so wundervolle Wortschöpfungen geschaffen wie «shaking like a leaf» oder «totally Audreyfied».

Dabei ist die Verbindung zwischen Weiblichkeit und Pflanzen keine neue. Botanische Metaphern über Frauen sind alt: knospend, blühend, reifend, welkend – je nach Lebensalter wird Frauen nicht nur in der Romantik eine Stufe pflanzenhaften Wachstums zugeordnet. Der Philosoph Max Scheler schrieb über ‹die Frau› zu Beginn des 20.Jahrhunderts: «Mit der schönen und geruhsamen Gelassenheit eines Baumes […] steht sie im Grunde ihres Seins» (Vom Umsturz der Werte, 1923, S. 308). Die Zuweisung von «natürlichen» Eigenschaften an Frauen bzw. Weiblichkeit ist seit der Aufklärung ein zutiefst mit Macht verbundenes Mittel: Frauen/Weiblichkeit mit Natur gleichzusetzen und daraus abzuleiten, dass sie durch den Mann/Männlichkeit beherrscht werden müssten, dass eben die Kultur sich die Natur zu Eigen machen müsse. Natur/Kultur-Dichotomien sind insofern das Kampffeld des Feminismus bzw. der Gender Studies. In aktueller Theoriebildung wird nun gerade diese Dichotomie immer stärker aufgebrochen und hinterfragt. Insbesondere durch Wissenschaftler_innen wie Donna Haraway und Karen Barad. Oder auch Timothy Morton, dessen Buch Humankind. Solidarity with Nonhuman People (2017) u.a. mit einem Zitat von Björk beworben wird: «I have been reading Timothy Morton’s books for a while and I like them a lot.»

Das Diva-Sein der Pflanzen bewegt sich auf den Spuren dieser neuen Theoriebildungen. Den Pflanzen und den pflanzenaffinen Menschen wie Audrey/Greene gilt eindeutig die Sympathie der Musiktheater-Performance. Wenn diese auch historisch auf den Mythos der menschenfressenden Pflanzen zurückgeht und dabei ein interessantes Kapitel der Kolonialgeschichte aufgreift, wird gleichzeitig nicht nur Geschlecht, sondern auch die Kolonialgeschichte kritisch mit in die Reflexionen der überaus dichten Performance einbezogen. So werden «Horrorpflanzen» und deren Beschreibungen aus kolonialen Texten um die Jahrhundertwende eingeblendet.  

Zum Beispiel wird der Artikel Description of the Poison Tree in the Island of Java einbezogen, in dem von einem Baum die Rede ist, der so giftig sei, «dass mehrere Meilen Land um ihn herum unfruchtbar seien und dass jedes Lebewesen, das in seine Nähe kommt, tot umfalle.» Auch der Hydra Tree of Death wird beschrieben.

In dieser Performance-Inszenierung stehen sich zum einen die Todessehnsucht, zum anderen die Sehnsucht nach dem spießigen Reihenhaus gegenüber: So heißt es in Audreys Song: «A grill on the patio, disposal in the sink, a washer and a dryer and an ironing machine, in a tract house that we share – somewhere that’s green.» Letztendlich ist jedoch der Einzug in die schöne grüne Vorstadt eine Vorstufe des Todes, ein zur Pflanze Werden, die eingetopft, mit Blattglanz besprüht und gelegentlich mit Zellophanpapier umwickelt werden muss – wenn die Nachbarn kommen z.B.. Da bekommt die Aussage in dem Stück «Der Mörder ist schließlich immer der Garten», die im Lauf des Stückes öfters fällt, eine ganz spezifische Bedeutung.

Im Programmheft heißt es: «Wo Schauspieler*innen ansonsten angehalten sind, sich mit ihren eigenen Rollen zu verwachsen, hat sich Ellen Greene mit der eigentlichen Hauptrolle aus ‹Little Shop of Horrors› verwachsen – der der fleischfressenden Pflanze. Vielleicht ist also das ursprüngliche Ende mit Audreys Selbst-Verfütterung und der Übernahme der Weltherrschaft durch Audrey II die eigentliche sogenannte Wirklichkeit.» Hier kommen wir einem Hauptanliegen der Performance auf die Spur: Audrey II Gerechtigkeit wiederfahren zu lassen. Sie kommt auch selbst zu Wort:

«Dieser Ellen Greene-Körper, der aus meinem Körper wächst, der sich mit meinem Körper verwächst – And I dream of a place, where we can be together as one – dieser Körper, der meinen Körper schreibt, der mir meine Geschichte schreibt, dieser Körper, der sich so mit meinem Körper verwachsen hat, dass nicht mehr klar ist wessen...»

Haraway hätte ihre wahre Freude an dieser Performance gehabt, versucht sie doch mit ihren Camille Stories neue Pflanzen/Tier/Mensch-Genealogien aufzumachen und Genealogien (u.a. von Verwandtschaft) neu zu erzählen (Staying with the trouble, 2016).

Ein großartiger Spaß am Ende der Performance auch die Gegenüberstellung bzw. Gleichsetzung von Stars und Pflanzen:

«BEYONCE: Die gesamte Crew hat 100 Prozent Baumwolle zu tragen. Alkalisches Wasser gekühlt auf 21 Grad serviert mit Titanium Strohhalm. Handgeschnitzte Eiskugel, um die Stimmbänder zu kühlen. PEPEROMIA RAINDROP: Keine direkte Sonneneinstrahlung, Morgen- und Abendsonne möglich. Staunässe, aber auch Ballentrockenheit wird nicht vertragen. Als Gießwasser idealerweise gefiltertes Regenwasser.»

Ich hätte Björk noch dazu gewählt: In einem ihrer aktuellsten Vidoes Utopia zeigt sie einen Planeten, der jenseits der Trennung von Natur und Kultur zu existieren scheint. Das Caretaking of Nature bekommt hier eine ganz neue Perspektive. Im Gegensatz zu dem Song und dem Video All is full of Love, in dem Caretaking innerhalb einer Maschinenwelt zwischen Cyborgs gezeigt wird, ist Björk heute endgültig zu einer Göttin geworden. So möchte ich schließen mit einer Umkehrung des letzten Satzes aus Donna Haraways Cyborg-Manifest (1985): ‹Wenn auch beide in einem rituellen Tanz miteinander verbunden sind, wäre ich lieber eine Göttin als ein Cyborg› – scheint Björk, die ihren eigenen Planeten geschaffen hat, zu sagen. Oder – vielleicht – ist sie beides: ein pflanzenhaftes Cyborgwesen.

Bevorzugte Zitationsweise

Hanitzsch, Konstanze: Das Diva-Sein der Pflanzen. Konstanze Hanitzsch über «Mean greene mother from outer space». In: Zeitschrift für Medienwissenschaft, ZfM Online, Onlinebesprechung, , https://zfmedienwissenschaft.de/online/das-diva-sein-der-pflanzen.

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